Tierische Tiefflieger

20.12.2007 / Lokalausgabe

"Adlerauge" Stefan Sudmann erstellt für den Flughafen Niederrhein ein Vogelschlag-Gutachten. Er sagt: "Die Vergrämung funktioniert." (Fotos: Heiko Kempken)

PHILIPP WAHL

WEEZE. Der Pilot hatte Glück im Unglück: Der Schleudersitz rettete dem Engländer das Leben, als seinem Kampfjet im Landeanflug auf den Weezer Militärflughafen ein Mäusebussard in die Quere kam. Weil der Vogel ins Triebwerk geflattert war, stürzte die Harrier in ein Feld bei Alpen. Fast neun Jahre sind seit dem Absturz vergangen und auf dem Flughafen in Weeze landen längst Passagier- statt Militärflugzeuge. Die Briten sind abgezogen, die Vögel geblieben: Rund um die Startbahn fühlen sich allerlei Arten heimisch. Zu Zusammenstößen zwischen Vögeln und Flugzeugen kommt es noch heute gelegentlich.

"Tauben sind

gefährlich"

Weil große Exemplare und Schwärme den Flugverkehr gefährden könnten (siehe Kasten ), hat die Flughafen-Feuerwehr sie im Visier. Ihre Mission: "bird control". Zudem hat der Flughafen ein Vogelschlag-Gutachten in Auftrag gegeben. Das erwartet die Bezirksregierung - als Auflage zur Betriebsgenehmigung.

Das Gutachten erstellt Stefan Sudmann aus Kranenburg. Um das Gefahrenpotenzial der Vogelwelt für die Weezer Luftfahrt zu bestimmen, dreht der Biologe zwei Jahre lang, noch bis April, monatlich zwei Runden um die Startbahn. Auch an diesem Dezembermorgen, an dem sich ein Grauschleier über den Airport gelegt hat, ist er unterwegs.

Dirk Palmowski erwartet ihn schon. Der Truppführer der Flughafen-Wehr kutschiert "den Vogelzähler", wie er sagt, im Löschfahrzeug von Kontrollfeld zu Kontrollfeld. In 16 sind die 2400 Meter lange Bahn und die Rollwege aufgeteilt: "Und in jedem", erläutert Sudmann, "zähle ich die Vögel."

Dazu steigt er vom Hochsitz des Einsatzwagens und dreht sich links und rechts der Startbahn auf der Stelle: langsam, den Fernstecher vor Augen, sucht er den Asphalt, die Wiese drum herum und den Himmel darüber nach Federvieh ab. Ab und an unterbricht er sein konzentriertes Hin und Her. Dann zückt er einen Kugelschreiber und macht Notizen. Wie auf Kontrollfeld 4: Dort entdeckt Adlerauge Sudmann drei Stare im Tiefflug: "Im offenen Gelände hier finden sie leicht Insekten, Spinnen und Käfer."

Zwei Kontrollfelder weiter zanken sich drei Bussarde - "um ein totes Karniggel", ahnt Palmowski: "Die werden öfter von Maschinen überrollt." Dreimal täglich muss die Feuerwehr alle Vögel, die sie rund um die Landebahn sichtet, protokollieren. Palmowski verrät: "Tauben sind gefährlich, weil sie doof sind: Wenn ein Flieger kommt, hauen die nicht ab."

Gerade jetzt, das Löschfahrzeug knattert im Osten des Airport-Areals, pausieren hunderte Ringeltauben in den Baumwipfeln hinter dem Flughafenzaun. Palmowski zückt sein Megafon. Das kann auf Knopfdruck Schreie etlicher Raubvögel imitieren. In der Hinterhand hat er noch eine Schreckschusspistole. Elstern-Gekreische setzt den Schwarm in Bewegung. "Haut ab", ruft Palmowski dem Schwarm nach, kurz bevor eine Boeing 737-800 zur Landung ansetzt.

Gänse im

Formationsflug

Vor der folgenden Maschine queren in 50 Metern Höhe Gänse im Formationsflug den Airport. "Wenn die mit einer Maschine kollidieren, kann es zum Crash kommen", weiß Sudmann. Nach drei Stunden hat er von einer Möwe bis hin zu Krähen elf Arten erhoben - und "105 sitzende und 128 überfliegende Vögel. Ein ruhiger Tag. Das Vogelschlag-Management funktioniert." Verantwortlich dafür ist der Vogelschlag-Beauftragte am Airport, Christoph Reichelt: "2005 haben wir bird control gestartet. Seitdem lassen wir auch das Gras links und rechts der Startbahn höher wachsen." So ist diese aus der Vogelperspektive für große Arten unattraktiv. Ungefährliche, weil kleine Arten wie die extrem seltene Feldlerche werden dagegen in die Weezer Steppe gelockt.

Ernsthafte Probleme hätten die Vögel in Weeze noch keinem Piloten bereitet, versichert Betriebsleiter Ernst van den Berg. Anders als der britische Kampfjet haben Passagierflieger zwei Triebwerke - "und ein funktionierendes reicht, um zu landen", so van den Berg. Außerdem, verrät Sudmann, gewöhnen sich Vögel an den Verkehr: Ihre Routine wächst quasi mit dem Flughafen... Dirk Palmowski greift zuweilen zur Schreckschuss-Pistole, um Vögel zu vertreiben.

CRASH-TEST Am Niederrhein wurden 2006 bei 8260 Flugbewegungen zwölf Kollisionen zwischen Vögeln und Flugzeugen gezählt. 2007 kam es bei 10000 Starts/Landungen ebenfalls zu zwölf Vogelschlägen. Diese fallen vor, weil Vögel - wie Menschen - die Geschwindigkeit von fliegenden Objekten schlecht abschätzen können. Die Flughäfen werden vom Deutschen Ausschuss zur Verhütung von Vogelschlägen beraten. Hierzulande registrierte er seit 1960 zwei Beinahe-Abstürze. Hersteller müssen Vogelschlag-Crash-Tests unterziehen. In den USA werden wegen einer Millionen Kandagänse (bis zu 6,5 kg schwer) häufig Flugrouten geändert.